Entkolonialisierung von Straßennamen
Kolonialisierung, Sklaverei und Vertreibung sind Begriffe, die auf den ersten Blick auf die Vergangenheit unseres Landes Bezug nehmen. Und doch finden sich immer wieder Verweise darauf, dass auch unser heutiger Alltag von dieser Vergangenheit geprägt ist. So gibt es in Kiel Straßen, die nach ehemaligen Kolonisatoren und Menschenhändlern benannt sind. Beispielsweise ist eine Nebenstraße der Holtenauer Straße nach Joachim Nettelbeck benannt, der als Obersteuermann auf einem Sklavenschiff tätig war und sich dabei bereicherte. Ein weiteres Beispiel ist eine Straße im Afrika-Viertel, die nach dem Kolonisator Adolf Lüderitz benannt wurde.
Es ist richtig, dass die Geschichte des eigenen Landes nicht einfach ausradiert und überschrieben werden sollte. Schließlich trägt man als Land eine gewisse Verantwortung für die Aufarbeitung der Vergangenheit, aus der auch viel für die Gegenwart zu lernen ist. Allerdings sind Straßenschilder wohl kaum dafür geeignet, kritisch über die Vergangenheit zu reflektieren. Sie klären weder über die Personen auf, nach denen sie benannt wurden, noch gehen sie kritisch mit ihnen um. Im Gegenteil: Durch die Benennung einer Straße nach einem Kolonisator wird diese Person sogar noch geehrt und gerühmt. Wie könnte ein Lösungsansatz hierfür aussehen?
Im Beispiel Nettelbeck ist es so, dass er 1907 mit dem Straßennamen gewürdigt wurde, weil er 1807 Kolberg gegen die Franzosen verteidigt hatte. Wie weiter oben schon erwähnt wurde, war Nettelbeck aber auch am Menschenhandel während der Kolonialzeit maßgeblich beteiligt. Ist es nun sinnvoll, bei der Straßenbenennung über den Menschenhandel hinwegzusehen und die „patriotische Verteidigung“ allein in den Vordergrund zu stellen? Das ist zu einfach gedacht. Natürlich ist es so, dass sich die Normen und Werte einer Gesellschaft über die Zeit verändern. Es ist davon auszugehen, dass auch unsere heutigen Normen in Zukunft in Frage gestellt werden. Aber Menschen zu vertreiben, zu versklaven oder gar zu töten geht weit über das hinaus, was hier in einen akzeptablen Rahmen passt. Auch wenn den damaligen Menschenhändlern ihr Verhalten vielleicht richtig vorkam, dürfen solche Taten zu keinem Zeitpunkt legitimiert werden. Weiterhin ist es auch nicht der Fall, dass die Vergangenheit mittlerweile abgeschlossen ist. Gerade wenn die eigene Familiengeschichte durch Menschenhandel geprägt ist, kann so eine Würdigung sehr verletzend sein. Doch auch Menschen, deren Vergangenheit in der Familie nicht durch Kolonisatoren oder Sklaverei belastet ist, müssen an dieser Stelle Verantwortung übernehmen und sich der Legitimation dieser Verbrechen in den Weg stellen.
Das Dilemma bei dieser Diskussion ist, dass eine Umbenennung den Anschein erwecken kann, die Vergangenheit auslöschen zu wollen. Benennt man aber eine Straße nicht um, sondern macht anderweitig auf die Konflikte der betreffenden Personen aufmerksam, muss sich umso mehr gefragt werden, weshalb man als Gesellschaft im völligen Bewusstsein über die Gräueltaten solche Menschen weiterhin symbolisch würdigt.
Praktisch gesehen birgt eine Umbenennung recht viel Aufwand: Die Anwohner*innen müssen die Anschrift bei vielen Dokumenten sowie Konten ändern, es kann zu Problemen und Änderungen in den Navigationssystemen kommen usw. Der meiste Aufwand fällt dabei wohl auf die Anwohner*innen der Straße zurück. Daher wäre für die Politik eine Umbenennung der betroffenen Straßen leicht und widerstandslos durchführbar, wenn die Forderung von den Anwohner*innen aktiv vorangebracht wird. Zusätzlich zu der Umbenennung sollte in den Straßen ein entsprechender Hinweis angebracht werden, nach wem die Straßen vorher benannt waren und weshalb sie umbenannt wurden. Zusätzlichen sprechen wir uns als Grüne Jugend dafür aus, dass die jeweiligen Straßen nach Widerstandskämpfer*innen umbenannt werden, die sich dem Kolonialismus und Nationalismus entgegengestellt haben. Um unsere gesellschaftliche Diversität besser abzubilden, sollen dabei mindestens die Hälfte der Namen nach FINT*-Personen benannt werden.
Autor: Johannes
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