Wie Querdenken die Demokratie angreift – und die Rolle der Polizei dabei
Am vergangenen Karfreitag fand in Stuttgart eine Querdenken-Demonstration mit ca. 10.000 Teilnehmenden statt. Demonstrationen müssen auch in Zeiten einer Pandemie möglich sein, jedoch muss ein ausgewogenes Verhältnis zum Gesundheitsschutz vorliegen und Auflagen dementsprechend beachtet werden.
Wie von diesen Veranstalter*innen gewohnt, fand die Demonstration allerdings nahezu komplett ohne medizinische Masken, Einhaltung der allgemein geltenden Abstandsregeln oder einem funktionierenden Hygienekonzept statt. Vertreten war eine breit gefächerte Klientel von frustrierten Bürger*innen über Verschwörungsideolog*innen hin zu Rechtsextremist*innen. Die Demonstration stand unter dem Motto: “Frieden, Freiheit, keine Diktatur”.
Perfide Strategien und Demokratiefeindlichkeit bei Querdenken
Das Motto der Demonstration wirkt nahezu ironisch, wenn mensch sich die Klientel dieser Demonstration genauer ansieht. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen, welcher bei genauer Betrachtung ein braunes Problem aufweist.
Das vermeintliche Ziel der Querdenken-Bewegung, gegen eine Corona-Diktatur einzutreten, steht ihrem praktischen Handeln komplett gegenüber. Rechtsextreme Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung oder der Holocaustleugner Nikolai Nerling rufen zur Teilnahme an den Corona-Demos – auch hier in Kiel[1] – auf und nehmen an diesen teil. Eine konsequente Distanzierung und ein kritischer Umgang mit dem Rechtsextremismusproblem ist durch Querdenken nicht zu beobachten. Stattdessen ist es zur Normalität geworden, dass Rechtsextremist*innen Teil dieser Demos sind. Sie normalisieren sich und ihre Ideologien und nutzen die Demos als Plattform zur Verbreitung dieser. Rechtsextremist*innen haben aber in keiner Demokratie einen legitimen Platz in einer Debatte, da sie es sich zum Ziel gesetzt haben, die Demokratie abzuschaffen. Jede*r, die*der dieses Problem leugnet oder relativiert, trägt zur Zerstörung der Demokratie von innen heraus bei und baut eine Form der Gesellschaft auf, in der Gewalt und Drohungen gegen Andersdenkende zur Realität werden.
Es scheint wie ein schlechter Witz, dass rechtsextremistische Gruppierungen meinen, sie müssten für Freiheit auf die Straße gehen, wenn es doch gerade diese Gruppen sind, die durch Angriffe auf Journalist*innen und Andersdenkende auffallen[2], deren Freiheiten angreifen und versuchen, die Meinungsäußerung anderer zu verhindern. Zwar steht es allen Bürger*innen frei zu demonstrieren, jedoch müssen sich Teilnehmer*innen einer jeden Demonstration selbstverständlich dabei zu Grundsätzlichem verpflichten: Zum einen können Straftaten wie das Zeigen von Hitlergrüßen, Hakenkreuzen oder der Straftatbestand der Volksverhetzung nicht geduldet werden, zum anderen stellt auch die Verletzung der Corona-Regeln einen groben Verstoß gegen Grundsätze, zu denen sich diese Gesellschaft in dieser Pandemie verpflichtet hat, dar.
Darüber hinaus widersprechen bereits genannte Angriffe auf Journalist*innen dem Eintreten gegen eine Diktatur, denn das Eintreten für Demokratie und insbesondere Meinungs- und Pressefreiheit zeichnet sich dadurch aus, Andersdenkenden diese Freiheiten ebenfalls zuzusprechen und die freie Berichterstattung zu respektieren. Stattdessen zeigen die Angriffe auf Journalist*innen oder Gegendemonstrant*innen auf Querdenken-Demos, dass andere Meinungen nicht gewollt sind und Gewalt ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung zu sein scheint – wie in einer Diktatur.
Bei Querdenken und ihren Forderungen handelt es sich also nur um leere Worte. Vielmehr verhält sich Querdenken quer zur liberalen Demokratie und trägt unter dem perfiden Vorwand der (Meinungs-)Freiheit zum Abbau jener bei.
Selbstverständlich sind viele Bürger*innen erschöpft von Lockdown, Isolation und Einschränkungen, jedoch ist dies keine Legitimation dafür, dass rechtsextremistische Gruppen diese Erschöpfung für sich instrumentalisieren. Im Gegenteil, wenn auf diesen Demonstrationen durch ignorantes Verhalten Menschen gefährdet werden und das Infektionsgeschehen weiter vorangetrieben wird, während Millionen Menschen gleichzeitig durch Selbstisolation oder Quarantäne Verantwortung beweisen, wirkt es für diese Menschen wie blanker Hohn.
Das inkonsequente Vorgehen der Polizei
Dass wiederum die Polizei bei Querdenken-Demos nicht einschreitet, wenn die Abstands- und Hygieneregeln nicht eingehalten werden und die Querdenker*innen keine medizinischen Maske tragen, ist ebenfalls völlig unverständlich.
Bei der Querdenken-Demo in Stuttgart am 03.04.2021 waren ca. 10.000 Menschen unterwegs – die meisten ohne Maske und ohne Abstand. Während eine Gegendemonstration, die die Querdenken-Bewegung am Weitergehen hindern wollte, aufgelöst wurde, ließ die Polizei die Querdenker*innen weiterziehen, obwohl diese sich nicht an bestehende Regeln zu Hygienekonzepten gehalten hatten.
Die Polizei erklärte, dass die Demo nicht aufgelöst wurde, weil die Teilnehmer*innen friedlich seien und dies der Gradmesser sei. Während also tausende Menschen ohne Maske und Abstand das Infektionsgeschehen hoch treiben und tausende unschuldige Menschen dadurch der erhöhten Gefahr einer Covid-19 Erkrankung ausgesetzt werden, entscheidet die Polizei, deren Aufgabe es ist, unser aller Leib, Leben und Gesundheit zu beschützen, dass es keinen Grund gebe, die Demonstration aufzulösen.
Die Stadt hatte angekündigt im Falle von fehlenden Masken und nicht eingehaltenen Abstand die Versammlung auszulösen. Dies tat die Polizei allerdings nicht. [3]
Bei einer Demonstration von Querdenken im November 2020 in Frankfurt am Main setzte die Polizei Wasserwerfer auch gegen Gegendemonstrant*innen ein, obwohl es die Lage nicht hergab und beide Gruppen nicht einmal aufeinander trafen. Da die Gegendemonstrant*innen, die die Strecke der Querdenken-Bewegung blockieren wollten, den Weg nicht frei machten, entschloss sich die Polizei hier zum Einsatz mit Wasserwerfern und ging damit sehr hart gegen eine kleine Gruppe von Menschen vor, die sich an Masken-, Abstands-, und Hygieneregeln hielten. [4]
Am 07.11.2020 waren in Leipzig tausende Menschen bei der Querdenken Demonstration unterwegs. Auch hier wurde sich nicht an die Abstands- und Maskenregeln gehalten. Die Polizei schritt jedoch bis zum Nachmittag nicht ein und ließ die Querdenker*innen gewähren. [5]
Am 25.03.2021 zogen 20.000 Querdenker*innen durch Kassel. In den darauffolgenden Tagen ging ein Bild durch die Presse, in der eine Polizistin mit den Händen ein Herz in Richtung der Querdenker*innen formt. Schon der Anschein fehlender politischer Neutralität verstößt gegen das Mäßigungsgebot für Beamte – insbesondere auf einer Demo mit mehreren Parteien. [6] [7]
Die Polizei scheint hier mit zweierlei Maß zu messen. Bei Demonstrationen aus dem linken Spektrum geht die Polizei regelmäßig entschieden härter vor und attackiert friedlich Demonstrierende, die sich an die Regeln halten. Bei Querdenken Demos hingegen greift die Polizei nicht oder nur zögerlich durch.
Die Querdenker*innen schaffen sich hiermit regelrecht einen “rechtsfreien” Raum. Sie gehen in der Masse unter. Sie werden nicht verfolgt und bekommen selten eine Strafe. Wenn eine Gruppe Jugendlicher sich mit mehr als zwei Haushalten trifft, hagelt es hingegen fast sofort Bußgelder.
Die Polizei scheint nicht den Anspruch zu verfolgen, bei allen Menschen die gleichen Regeln anzuwenden. Die Polizei wirkt, als hätte sie Angst, eine vermeintlich marginalisierte Gruppe zur Rechenschaft zu ziehen vor dem Hintergrund, dass auch dieser Menschengruppe die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht abgesprochen werden darf, was durchaus stimmt. Jedoch wird eine Gefährdung anderer durch das Nichteinhalten von Hygieneregeln nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Das Verhalten der Polizei wirkt so, als wenn hier Angst bestünde die von den Querdenker*innen benannte “Diktatur” auch wirklich durchsetzen. Hier scheint die Polizei den Unterschied zwischen einer Diktatur und dem Durchsetzen des für alle Bürger*innen geltenden Rechts nicht zu erkennen.
[1] https://tkkg.noblogs.org/post/2021/03/17/identitaere-bei-querdenken/
[3] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/stuttgart/demos-stuttgart-samstag-ostern-100.html
[5] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-querdenken-demonstration-leipzig-100.html
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